INTERVIEW VON BETTINA GEUENICH

Oskar Kern ist Speaker, Buchautor und COO eines großen österreichischen Unternehmens aus der Bauindustrie. In seinen Vorträgen gibt er Impulse für Managerinnen und Manager – in einigen Wochen wieder auf dem HR Leader Circle im Schloss Mauerbach. Was Führungskräfte aus der Coronakrise lernen können, beschreibt er im Interview.

Herr Kern, die vergangenen Monate waren für viele Managerinnen und Manager eine große Herausforderung und Bewährungsprobe. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ich gebe Ihnen Recht. Die Zeit war eine große Herausforderung. Die Märkte waren im Aufruhr, die Prognosen unsicher und die Menschen teils gezwungenermaßen im Homeoffice. Dennoch glaube ich, dass Corona wahrscheinlich einer der effizientesten Wirtschaftsberater der Welt war. Denn die Pandemie hat uns in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit Digitalisierung gelehrt und relativ schnell gezeigt, wie wir mit Homeoffice-Situationen umgehen und auf Distanz führen müssen. Ohne Vertrauen ist das nicht möglich. Ich kenne einige, die daran scheitern, weil es eine komplett andere Führungskultur verlangt, Menschen im Homeoffice oder im Mix-Betrieb zu führen.

Und das noch dazu in wirtschaftlich sehr unsicheren Zeiten. Wie gelingt Führung in Umbruchsituationen?

Die Gegenwart verliert an Wert und auf die Zukunft können wir uns immer weniger vorbereiten. Das Management kann nicht mehr wie früher irgendwelche Visionen fortschreiben. Stattdessen müssen die Managerinnen und Manager selbst, aber auch ihre Organisationen so aufgestellt sein, dass sie agil auf Veränderungen reagieren können. Letztendlich müssen sie in der Lage sein, mit ihren Mitarbeitern die Wünsche der Kunden zu erfüllen. Durch Corona hat sich noch mal viel schärfer gezeigt, welche Organisationen dazu in der Lage sind – unter den veränderten Bedingungen.

Wie kann dieses agile Reagieren auf Veränderungen in der Praxis ausschauen? Können Sie das an einem Beispiel beschreiben?

Agilität meint bezogen auf einen Organismus eine schnelle Reaktionsgeschwindigkeit und -bereitschaft. Wenn ich den Körper als Bild hernehme: Ist das Hirn zu weit weg von meiner kleinen Zehe, dann wird es schwierig, schnell zu reagieren, wenn mein Fuß zu nah ans Feuer kommt. Übertragen auf das Wirtschaftssystem heißt das: Es ist wichtig, dass Managerinnen und Manager nahe an den Menschen dran sind, die tatsächlich die Arbeit ausführen. Sonst ist der Nervenstrang zu weit weg vom Haupthirn und Sie sind nicht in der Lage, Ihren Fuß schnell zurückzuziehen, wenn es gefährlich wird.

Das heißt, ein enger Austausch zwischen Management und Mitarbeitenden ist gefragt?

Und nicht nur mit den Mitarbeitern. Anstatt hundert Stunden in Analysen zu investieren, um herauszubekommen, was der Kunde mögen könnte, wäre es besser, ihn einfach zu fragen und zu schauen, was ihn ärgert. Wir haben zwei Augen, um gut hinzusehen, und zwei Ohren, um gut zuzuhören, sowie einen Mund, um zu sprechen. Daher sollten wir auch doppelt so gut hinschauen, doppelt so gut hinhören und nur halb so viel reden. In Organisationen liegt das Wissen ja oft ganz tief in der Hierarchie, wo wirklich lang gediente Mitarbeiter sind, die man fragen müsste, weil sie sich von selbst nicht melden.

Sie sagen, dass es eine andere Führungskultur braucht. Worauf sollten Managerinnen und Manager denn achten, wenn sie eine Führungskraft auswählen?

Einstellung ist aus meiner Sicht wichtiger als Qualifikation. Ganz ohne Qualifikation geht es natürlich nicht. Aber meine Erfahrung ist: Wenn du Menschen hast, die top ausgebildet sind, aber ihr Wissen nicht in Können umwandeln können, dann hilft das gar nichts. Top ausgebildete Leute, die nicht wollen, sind ebenso wenig hilfreich. Natürlich gilt umgekehrt: Wer nur will und nichts kann, bringt das Unternehmen auch nicht voran. Aber gerade in einer Krise ist die Einstellung das Wichtige: Durch einen kalten Bach gehen wir nicht, weil es Spaß macht, sondern weil wir durchkommen wollen. Zu wissen, wie wir durch den Bach kommen, ist zu wenig. Wir müssen durch gehen.

Sie haben ein Buch über die Lebensweisheiten Ihrer Eltern geschrieben, die Briefträger waren. Welche davon helfen uns in der Krise weiter?

Ich beschreibe Ihnen meine persönlichen Top 3, die wir in Zeiten des Umbruchs gut gebrauchen können. Die erste Botschaft stammt von meiner Oma: „Es ist, wie es ist. Und so wie es ist, so ist es.“ Also: Zu jammern, dass Corona da ist, kann tagfüllend sein. Aber Corona ist da. Und wenn die Pandemie da ist, dann ist sie es. Gerade der zweite Teil ist so wichtig, weil darin das „Annehmen“ steckt. Es geht darum, zu akzeptieren, dass wir in einer wirtschaftlichen Schieflage stecken, nicht die richtigen Mitarbeiter finden – was auch immer Firmen für Probleme habe. Ich merke sehr oft, dass Menschen in Organisationen hadern – und dabei viel Energie, Zeit und Geld verschwenden.

Zunächst einmal geht es also darum, die Krise anzunehmen. Was ist die zweite Botschaft?

In Krisen wird immer viel über andere Menschen, Firmen, Mitbewerber geschimpft. Es werden irgendwelche Verschwörungstheorien aufgestellt und so weiter. Daher möchte ich die zweite Weisheit mitgeben: „Was der Peter über den Paul sagt, sagt viel mehr über den Peter als über den Paul.“ Wenn Sie am Gang etwas erfahren, dann horchen Sie nicht nur hin, was jemand sagt, sondern auch, warum er Ihnen das sagt. Es hat sehr oft mit der sagenden Person viel mehr zu tun als das gesprochene Wort. Das gilt gerade in einer Krisensituation, in der dem Management ja viel zugetragen wird. Da ist es nicht immer leicht zwischen richtigen und falschen Informationen zu unterscheiden.

Umso wichtiger ist es, Informationen genauer prüfen. Und die dritte Weisheit?

Die dritte Weisheit, die ein guter Manager in Krisenzeiten braucht: Wichtige Momente im Leben beginnen immer mit einer Entscheidung. Wir können alles analysieren, wir können alles hundertmal hinterfragen und tausend Experten hinzuziehen. Es muss uns bewusst sein, dass wir als Manager dafür bezahlt werden, dass wir entscheiden. Und wenn wir falsche Entscheidungen treffen – was gerade in Umbruchzeiten schnell passiert –, dann werden wir dafür bezahlt, unsere Entscheidungen so gut wie möglich zu reparieren. Das Schlimmste in agilen Zeiten ist aus meiner Sicht, nicht zu entscheiden, sondern zu denken: Es wird schon wieder besser werden.

Was hindert uns daran, Entscheidungen zu treffen?

Wir sind alle ein bisschen konditioniert von der Schule, in der wir eine sehr gute Note bekommen, wenn wir keinen Fehler machen. Das ist an sich problematisch. Denn keine Fehler zu machen, gelingt mir nur, wenn ich Dinge tue, die ich schon vorher geübt habe. In Zeiten des Umbruchs muss ich aber irgendwo hingehen, wo ich noch nie war. Dort ist ein kindliches Ausprobieren gefragt.

Ein guter Manager muss daher kindliche Neugier und Wissbegierde mit dem Tun vereinbaren. Aufmerksam, neugierig und achtsam bleiben – und dann auch handeln. So entsteht Entwicklung – und so entsteht eine Grundhaltung, mit der Organisationen sehr gut für Umbruchzeiten aufgestellt sind.

 

Literaturtipps:

Briefträgerkind. Die kleinen Weisheiten meiner Eltern. Von Oskar Kern. edition a 2014.
ICH gestalte wie es werden soll. ICH bin: Mein ungewöhnliches Impulsnotizbuch. Von Oskar Kern. 2021

 

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 17 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

 

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